11.10.21 RNZ Forum: Wie sich Corona auf den regionalen Sport auswirkt

Von Nikolas Beck // Heidelberg. Gert Bartmann wurde gleich zwei Mal angezeigt. Einmal, weil er ein Auge zu viel zugedrückt und entgegen der geltenden Corona-Verordnung zu viel zugelassen haben soll. Das andere Mal, weil die Eltern eines Schwimmtalents nicht einsahen, warum das eigene Kind nicht ins Wasser durfte, das Nachbarskind als Kaderathlet dagegen schon. Diese Anekdote, die der Leiter des städtischen Amts für Sport und Gesundheitsförderung am Montagabend erzählte, zeigte vielleicht am anschaulichsten, wie komplex die Thematik war und ist. Unter der Überschrift "Sport in der Pandemie" diskutierten gleich sechs Vertreter von Vereinen, Verbänden und Politik beim RNZ-Sportforum im Hörsaal des Sportinstituts.  Bartmann, Mitinitiator Gerhard Schäfer (Sportkreisvorsitzender), Fußballmanager Otmar Schork (früher Sandhausen, heute Magdeburg), der frühere Landtagsabgeordnete Karl Klein, Uwe Hollmichel (Vorsitzender SG Kirchheim) und Marathonläufer Marcus Imbsweiler (TSG 78 Heidelberg) kratzten dabei keineswegs nur an der Oberfläche, wie es RNZ-Sportchef und Moderator Claus Weber mit falscher Bescheidenheit formulierte. 

"Schuldig" bekannte sich Marcus Imbsweiler. Der Schriftsteller habe den Stein zur Podiumsdiskussion ins Rollen gebracht, weil er in seiner Funktion als Elternbeiratsvorsitzender der Pestalozzi-Grundschule bei vielen Eltern zu Beginn der Pandemie und der Sport-Einschränkungen zunächst mal nur "ein Grummeln" festgestellt hatte. "Als dann die Fußball-Europameisterschaft angekündigt wurde, ist die Stimmung endgültig gekippt", berichtete der 54-Jährige. Auch er könne nicht nachvollziehen, warum eine Trennlinie zwischen Profisport und Breitensport gezogen wurde. "Ich sehe das als Einheit", entgegnete Imbsweiler Otmar Schork, der zuvor die Fußball-Erst- bis Drittligisten als "Wirtschaftsunternehmen" bezeichnet hatte, an denen viele Tausende Arbeitsplätze hängen. "Wenn an der Basis kein Breitensport mehr betrieben wird", so Imbsweiler weiter, "hängen die Profis irgendwann auch in der Luft." Die Basis brauche die Profis wiederum als Vorbilder. Es sei ein "fatales Bild entstanden". Nämlich jenes, dass der ökonomisch wertvolle Sport wichtig sei. Der Breitensport, der für die Gesundheit der Gesellschaft zuständig ist, hingegen in Krisenzeiten verzichtbar wäre. 

Otmar Schork folgte Imbsweilers Kritik nur bedingt. Niemand hätte verstanden, warum gewisse Sportarten im Freien lange verboten waren, so Schork. Auch er nicht. "Das hat aber überhaupt nichts mit dem Profifußball zu tun." Selbstverständlich sei dieser seiner Vorbildrolle nachgekommen, betonte der 64-Jährige und erinnerte an die Erstellung von aufwendigen Hygienekonzepten, von denen später andere Profi-Ligen und auch Unternehmen profitieren konnten. Diese waren aber für Amateurvereine schon alleine finanziell kaum durchsetzbar, so Schork. Dass Fußball zumindest im TV zu sehen war, sei nicht nur eine wichtige Ablenkung gewesen. Sondern vor allem für Kinder und Jugendliche die einzige Möglichkeit gewesen, ihre Helden weiter zu verfolgen und ihnen später nacheifern zu können. Mit Blick auf horrende Millionen-Gehälter und -Ablösen während der Krise oder abstruse internationale Dienstreisen räumte er ein: "Auch der Fußball hat Fehler gemacht." 

Karl Klein, der auch Vorsitzender des Verbandsligisten 1. FC Mühlhausen ist, brach eine Lanze für die Profis. Er erinnerte etwa an die Solidarität der TSG Hoffenheim, die über ihre Initiative "TSG hilft" über 250 Vereine finanziell unterstützt hat. Am Hoffenheimer Hygienekonzept habe sich auch die SG Kirchheim maßgeblich orientiert, berichtete Uwe Hollmichel. Aber auch von der Stadt, der Politik und dem Badischen Sportbund habe man große Unterstützung erfahren, um die finanziellen Verluste aufzufangen, so der 65-Jährige. Alleine durch den Wegfall der vielen Feste seien dem Gesamtverein ca. 60.000 Euro verloren gegangen. Neben den finanziellen Sorgen gab es auch die Befürchtung, den Vereinen könnten während des Stillstands die Mitglieder weglaufen. Hollmichel durfte Entwarnung geben: "2020 haben wir zwei Mitglieder verloren, 2021 bisher aber 54 zusätzlich dazugewonnen." Seine These: Mit großem Einsatz, solidarischen Übungsleitern und Trainern sowie dem nötigen Mut, neue Wege zu beschreiten, kann man viel auffangen. 

Imbsweiler sah es genauso. Gut geführte Vereine seien beinahe gestärkt durch die Krise gekommen. Wie in vielen Bereichen habe aber auch im Sport Corona "die ohnehin schwelenden Probleme verstärkt". Nicht vergessen dürfe man beispielsweise die Menschen, die bereits zuvor wenig mit Sport anfangen konnten – und durch die Zwangspause zusätzliche Argumente erhielten, auf der Couch zu bleiben. Alarmierend findet Imbsweiler, dass die Zahl übergewichtiger Kinder um 20 Prozent gestiegen sei.  Schäfer berichtete zwar, dass für den gesamten Sportkreis Heidelberg der Mitgliederschwund der Vereine durchschnittlich "nur" bei zwei Prozent, in ganz Nordbaden bei drei Prozent liege, und von "großer Solidarität im Vereinswesen". Allerdings seien von den ganz Kleinen, im Alter bis sechs Jahre, rund 15 Prozent weniger Kinder überhaupt in einem Verein angemeldet worden", wusste Schäfer.

Sport als Teil der Lösung, nicht als Teil des Problems. Für diese Betrachtungsweise warben alle Teilnehmer auf dem Podium. 

Auch Karl Klein, der als Vertreter der Politik Gesundheitsminister (und Parteifreund) Jens Spahn zitierte. Spahn habe zu Beginn der Pandemie mal die weisen Worte gesagt, man werde sich am Ende wohl gegenseitig vieles zu verzeihen haben. Es habe nun mal keine Blaupause und keinen Handlungsleitfaden gegeben, sagte der 65-jährige Ex-MdL.

Im Nachhinein sei die Frage aber durchaus erlaubt, ob der lange Lockdown in dieser Form richtig gewesen sei. Mit den heutigen (!) Erkenntnissen, so Klein, müsse man einräumen: "Ja, es wäre möglich gewesen, den Sport früher wieder zu erlauben."

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Foto: Sportkreis Heidelberg